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Unternehmenskultur, Softwareentwicklung und Architektur

23. August 2024

Verantwortung übertragen ≠ Verantwortung übernehmen

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6 Minuten Lesedauer

Nur, weil einer Person Verantwortung übertragen wird, heißt das noch nicht, dass die Verantwortung auch übernommen wird. Effektiv in Unternehmen oder Teams Verantwortlichkeiten zu verteilen funktioniert gut mit der Methode, die ich euch in diesem Artikel vorstellen möchte.

Zuvor werde ich euch aber kurz das Problem skizzieren, nach dem ich mit der Methode werfen will.

Stellt euch also vor, die Verantwortung für ein bestimmtes Thema wurde einer Person übertragen, aber nichts passiert. Woran liegt das? Einige von sicherlich vielen Gründen könnten sein:

  • Die Person hat keine Zeit – vielleicht, weil sie zu viele andere Aufgaben hat.
  • Der Person fehlt fachliche Kompetenz – sie hat zwar Stärken, aber nicht in diesem Gebiet.
  • Die Person ist nicht motiviert – vielleicht wurde ihr die Aufgabe ungefragt übertragen.
  • Das Team akzeptiert die Person nicht in der Verantwortungsrolle – vielleicht, weil sie zu jung, zu neu, zu … ist.
  • Der Person fehlt die charakterliche Eignung, um die Verantwortung auszufüllen – vielleicht ist sie unsicher, wankelmütig oder konfliktscheu.
  • usw.

Und wie kommt es zu solchen ungünstigen Konstellationen? Auch hier sind verschiedene Szenarien vorstellbar. Denn die Art und Weise, wie wir Verantwortung übertragen – bzw. wer die Verantwortung überträgt –, geht jeweils mit Vor- und Nachteilen einher. Auch hier möchte ich ein paar Beispiele skizzieren, um die zugrunde liegende Problematik greifbarer zu machen:

  • Bietet das Management einer Person an, ihr Verantwortung zu übertragen, ist fraglich, ob diese in der Lage ist „Nein“ zu sagen. Selbst wenn es gute Gründe gibt, die dagegen sprächen, fällt vielen ein “Nein” gegenüber einer Führungskraft oft schwer. Insbesondere, wenn es sich nicht um eine Frage, sondern um eine Aufforderung handelt. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, dass die gefragte Person sich durch das Angebot geschmeichelt fühlt, und somit beflügelt wird, ihre Kompetenzen zu überschätzen.
  • Stellt man Verantwortung zur Disposition und hofft auf Freiwilligenmeldung, kann man erleben, dass sich keiner meldet oder eine ungeeignete Person, die man mit einer Absage demotiviert. Oft beobachtet man auch, dass sich immer die gleichen Personen melden, weil sie es beispielsweise nicht aushalten abzuwarten oder weil sie denken, dass sie allein in Frage kommen.
  • Auch ein Mehrheitsentscheid könnte darüber bestimmen, an wen eine Verantwortung übertragen wird. Berechtigte Einwände Einzelner bleiben dabei jedoch im Zweifel unberücksichtigt.

Entscheidend ist: Wir sollten abwägen, auf welche Art wir Verantwortung übertragen wollen – das tun wir leider viel zu häufig nicht.

Wenn es darum geht, Verantwortung zu verteilen, dann sollten wir uns klar darüber sein, welches Ergebnis wir damit erreichen wollen. Geht es uns darum, jemanden zu haben, den wir persönlich am Kragen packen können, wenn etwas schief geht? Oder wollen wir viel eher einen Menschen finden, der innerlich dazu bereit ist, die Verantwortung zu tragen; der sich ehrlich für die Sache engagieren möchte; der will, dass das Thema Erfolg hat?

Foto von freepik.de

 

Effektive Verantwortungsverteilung in der Theorie

Letztgenanntes ist das, was wir bei pentacor erreichen wollten. Und mit der “Soziokratischen Wahl” haben wir eine Methode gefunden, die uns diesem Ergebnis näherbringt. Wie wir gleich sehen werden, liegt der Wert dieses Vorgehens in drei Erfolgsfaktoren: Freiwilligkeit, Selbstbestimmung und Vertrauen.

„So, wie man niemandem sagen kann, er sei nun ein Revolutionär, kann man niemandem die Aufgabe übertragen, Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung nimmt man freiwillig an.“ BORIS GLOGER

Wie funktioniert das?

Alle kommen zum Wahltermin (am besten vor Ort) zusammen und eine Person, die die Wahlleitung übernimmt, hat alle Vorbereitungen getroffen. („Alle“ müssen natürlich nicht alle sein, aber zumindest diejenigen, die es betrifft. Dazu gehören vermutlich die potenziell in Frage kommenden Kandidat*innen, aber auch die Menschen, die mit der Rolle interagieren werden.)

Die klare Definition des Wahlgegenstands zu Beginn des Prozesses ist von entscheidender Bedeutung und sollte allen Teilnehmenden klar sein: Welchen Umfang hat die Verantwortung, die übernommen werden soll? Welche Aufgaben gehören dazu? Wie viele Personen werden gesucht? Für welchen Zeitraum? …

Bewährt hat es sich aus unserer Sicht zusätzlich, vorab noch einmal mit allen Wahlberechtigten zusammenzutragen, welche Anforderungen die Aufgaben und die Verantwortung an eine Person oder Gruppe stellen.

Daraufhin nehmen alle schriftlich ihre Nominierungen vor, die im Folgenden offen vorgestellt werden. Es ist also keine verdeckte Wahl – alle spielen mit offenen Karten. (Übrigens ist es ausdrücklich erlaubt, sich selbst zu nominieren.)

Teil der Vorstellung ist die positive Begründung, bei der es darum geht, Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen und die relevanten Stärken der Person zu benennen (daher Vorsicht: Minimalvoraussetzung für diese Methode sind ehrlicher, gegenseitiger Respekt und Achtung im Team).

Wurden alle Nominierungen gehört, unterbreitet die Wahlleitung einen Besetzungsvorschlag, über den unmittelbar gemeinsam befunden wird, um zu prüfen, ob er Konsent unter allen Teilnehmenden erreicht. Bitte verwechselt nicht Konsens mit Konsent. Wir suchen nicht nach der kollektiven Lieblingslösung, sondern nach einer Lösung, die für alle tolerierbar ist und die alle tragen können.

Durch Zustimmung des Kandidaten/der Kandidatin ist die Wahl schließlich abgeschlossen.

Hier die Darstellung eines möglichen Ablaufs einer soziokratischen Wahl nach JOHN A. BUCK & GERARD ENDENBURG.

Effektive Verantwortungsverteilung in der Praxis

Soweit der theoretische Ablauf. Beachtet jedoch: Diese Methode entstammt der Soziokratie, die auf Selbstorganisation und natürlicher Hierarchie basiert. Falls sich dein Unternehmen, so wie wir, im Transformationsprozess (lies gern meinen Blogartikel dazu) befindet, vergiss nicht abzusichern, dass die Geschäftsführung bzw. das zuständige Management mit dem Verfahren einverstanden ist und das Ergebnis trägt.  Sei dir dabei auch bewusst, dass ein solcher Kulturwandel ein Henne-Ei-Problem ist. Ein in den Menschen bereits vorhandenes selbstorganisiertes Mindset begünstig ungemein, dass die Anwendung dieser und anderer Methoden zu positiven Erfahrungen führen. Andererseits ist es für den Transformationsprozess förderlich, wenn diese gemeinsam erprobt werden und zu positiven Erfahrungen führen. Gut angeleitet und moderiert können sie daher umgekehrt auch helfen im Kulturwandel zu wachsen.

Egal, wo ihr euch auf eurer Reise gerade befindet, stellt in jedem Fall auch sicher, dass alle Teilnehmenden ein klares, gemeinsames Mindset haben, bevor es losgeht. Denn auch hier stellen nach wie vor Gesellschaft und Bildungssystem die Weichen eher ungünstig. Wer sich auf eine Soziokratische Wahl einlässt, der sollte konservative Denkmuster loslassen, zum Beispiel:

Suchen wir eine Person, die wir zur Rechenschaft ziehen können? Nein. Wir suchen eine, die ihr Bestes geben will.

Suchen wir die perfekte Besetzung? Nein. Wir suchen die bestmögliche Besetzung.

Geht es darum, eine Stelle/Position zu besetzen? Nein. Es geht darum eine verantwortungsvolle Rolle zu vergeben.

(Falls du bisher noch nichts von Rollen gehört hast, dann lohnt es sich, dazu zu recherchieren. Rollen sind kurz gesagt “Container für Verantwortlichkeiten”. “Product Owner” im Scrum ist beispielsweise eine Rolle.)

Ist das Mindset geklärt, steht einer erfolgreichen soziokratischen Wahl nichts mehr im Wege. Alle gemeinsam können konsentbasiert entscheiden, wer die jeweilige Rolle bestmöglich ausfüllt.

Mich hat die Methode überzeugt, auch wenn wir einige Stolpersteine mitgenommen haben, bevor es sich wirklich gut angefühlt hat und die Soziokratische Wahl ihre Wirkung entfalten konnte.

Ich empfehle euch daher:

  • Macht erst mal eine Demo!
  • Probt zunächst in einer kleinen Gruppe!
  • Wählt erst mal ein leichtgewichtiges Thema! (z. B. Moderationsrolle für Teammeetings)

Was überzeugt mich?

Durch die Nominierung erfahren die Menschen Anerkennung und Respekt, die sie sich als Mitarbeitende untereinander auf Augenhöhe zuteilwerden lassen. Es ist ein Ausdruck des Vertrauens und der Ermutigung. Menschen erfahren etwas über Stärken, die andere bei ihnen sehen – das ist fantastisch. Es motiviert die Gewählten ebenso wie alle anderen Nominierten. Aber auch die Wählenden, die erleben, dass ihre Stimme gehört wird und Wirkung hat.

Im Ergebnis wissen alle, was sie von anderen erwarten können und was von ihnen erwartet wird. Eine hohe Akzeptanz des Wahlergebnisses ist daher sichergestellt.

Ich möchte aber auch die damit verbundenen Herausforderungen nicht beschönigen. Denn ganz ehrlich: Es kostet aus meiner Erfahrung auch Zeit, Nerven und Energie – und zwar bei allen Beteiligten. Wobei mit zunehmender Übung die Effektivität spürbar steigt.

„Obwohl der Prozess sowohl emanzipierend als auch motivierend ist, kann während der Einrichtung eine Mischung aus Gefühlen wie Vorsicht, Hochstimmung, Frust, Erleichterung, Angst und Dankbarkeit auftauchen. Sorgfältige Planung kann die Missstimmungen und die Zerrissenheit im fortschreitenden Prozess minimieren.“ JOHN A. BUCK & GERARD ENDENBURG.

Ich persönlich glaube an diese Methode und möchte unser Team darin unterstützen, daran zu wachsen. In diesem Sinne die Organisation von pentacor zu entwickeln, ist übrigens eine Rolle, die mir mein Team per Soziokratischer Wahl übertragen hat. Und dieser Zuspruch motiviert mich ungemein, diese Verantwortung zu übernehmen.

Wir, die pentacor GmbH, sind eine lernende Organisation im Transformationsprozess. Ihr wollt mehr wissen, euch austauschen oder eure Gedanken teilen? Nur Mut, wir freuen uns über Kontakt!

 

Foto von freepik.de

 

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